Scharmützel
am Neckar
Im Herbst des Schachjahres
- vermutlich schon Winter und Frühjahr in einem - nahmen wir nochmal
die Gelegenheit wahr, ein Schachturnier zu besuchen. Sebastian als Spieler,
ich passiv. Einmal mehr, aber bei den nächsten Turnieren werde ich
auch wieder selbst etwas die Klötzchen schieben. Nach Mainz reisten
wir am Vortag des Turniers an über die schönen deutschen Autobahnen.
Autobahnen - das sind die jeweils etwa 2 km asphaltierten Straßenabschnitte
zwischen den Baustellen. Ging aber einigermaßen voran. Im CD-Spieler
lief bei uns das
neue Album vom Boss Bruce Springsteen (etwas in die Jahre
gekommen, aber recht rockig) und das ewig junge „Disintegration“
von The Cure (schwärm). Damit wäre das auch mal gesagt!
Das Heidelberger Turnier
wurde in zweiter Auflage von einem Schach-Enthusiasten veranstaltet. Man
bekam hier das Grundlegende geboten, sprich: Altes Bürgerhaus, Plastikfiguren,
DGT ist morgen… Aber ein netter Gastgeber, der auch ordentlich Preisgeld
auf die Beine stellen konnte. Letztlich versammelte sich ein Schachvolk
von etwa 150 Leuten, die in zwei Turnieren, A und B, über 7 Runden
kämpften.
Sebastian war an Platz
10 gesetzt - nicht toll, man muss sich ein paar Runden behaupten, bis man
erstmals einen gleichstarken oder besseren Gegner bekommt. Und das ist
das Ziel: Verbessern des eigenen Spiels, und das kann man halt am besten
gegen gute Leute. Manchmal muss man wirklich ein paar Runden warten auf
diese Leute, aber was hier passierte, war schon kurios. Letztlich wurde
das Turnier für Bast zu einem Lackmustest hinsichtlich des Spieles
gegen schwächere Gegner.
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Heidelberg von
oben, kurz vor dem Spiellokal
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Runden 1-2
Donnerstag
Taktische Sperenzchen
Am ersten Tag gab es
ein bitteres Auftaktremis gegen 2000 mit Weiß. Ja, dieses Mal kommen
wir mehr über Diagramme. Das ist weniger Arbeit für den Autor!
Aber die Partien hier boten sich auch wirklich dazu an.
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Sebastian - Pick
Schwarz am Zug
"Pick your choice"
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Schwarz war am Zuge
in der Stellung, und die Lage für ihn gar nicht so schlecht. Er hat
Raumgewinn am Damenflügel, das weiße Läuferpaar ist auch
noch nicht so viel wert. Schwarz steht bestimmt noch nicht schlechter.
Es folgte jedoch 28. … Te6!?, an sich noch kein Fehler, bereitet
aber einen vor. 29. Lh3 Tb6? Opfert eine Figur für Gegenspiel.
Völlige Verkennung der Sachlage auf dem Brett von Schwarz. Nicht nur,
dass das Gegenspiel völlig ungenügend ist, sondern Schwarz hatte
eine solche Aktion überhaupt nicht nötig.
Sebastian nahm das
Material auf d7 und konsolidierte sich. Dann hatte er aber einen Blackout,
übersah ein Zwischenschach und musste die Figur wieder abgeben. In
der Folge geriet Sebastian auf die Verluststraße, erkämpfte
aber noch ein Remis, wobei sein Gegner unverständlicherweise auch
kaum Ambitionen zeigte, auf den ganzen Punkt zu spielen und es war sogar
der Oldenburger, der ein Remisangebot in dann schon wieder ausgeglichener
Lage ablehnte. Aber Remis.
Kein toller Auftakt,
aber sicherlich zu früh, um den Korn in die Flinte zu kippen. Und
ein Schweizer Gambit kann manchmal auch ganz praktisch sein, um den Topleuten
aus dem Wege zu gehen - aber gerade das war eben nicht das Ziel. So war
Sebastian in der Nachmittagspartie mit Schwarz gefordert gegen 1900:
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Madera - Sebastian
Weiß am Zug
"Trick Nr. 17"
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Sebastian stand hier
bereits deutlich besser, z.B. 28. Dc1 Df5 29. Sg1 Df4 mit klarem Vorteil.
Es folgte jedoch das Ende mit Schrecken: 28. Dg3? Bast nahm nun
trocken den Springer weg und die Partie war vorbei. 28. … gxh3 und
Weiß gab auf, hätte aber noch eine Falle probieren können:
29. Dxh3+, wonach …Df5? von Tf1! beantwortet würde, und Schwarz könnte
aufgeben. Nach normalen Zügen aber gewinnt Schwarz einfach, da die
Dame wg. der Grundreihendrohungen natürlich tabu ist.
Runden 3-4
Donnerstag
Sieg gegen den
Deutschen Meister
Ja, in der Tat wurde
der Deutsche Meister besiegt, aber es war der U12-Meister von 2019. Er
hat immerhin 2000 ELO aufzuweisen. Bast spielte hier mit Weiß in
gutem Stile auf. Der Gegner griff früh daneben und musste eine Ruine
verwalten. Sebastian spielte die Partie auf sehr schöne Art zu Ende.
Hier unkommentiert die sehr interessante Umsetzungsphase der Partie:
Sebastian
- Förster-Yialamas
Und die Gegner wurden
etwas besser! Am Nachmittag gegen knapp 2100 mit Schwarz war es schwierig,
etwas herauszuholen gegen ein sehr solides, weißes System, ein Doppelfianchetto.
Alles verlief in geordneten Bahnen, bis Weiß dann die Geduld verlor
- oder ließ er doch plötzlich „Ambitionen“ erkennen?:
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Frey - Sebastian
White to blunder
"Der entfernte Isolani"
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Die Lage dürfte
in etwa ausgeglichen sein. Weiß entdeckte nun eine "petite combinaison":
30.
a6? Dies spekulierte auf 30. … Sxa6 31. Lxc6, und … Te7+ würde
dann beantwortet mit Le4. Weiß hätte zwar keinen Vorteil, aber
sich seines isolierten a-Bauern entledigt. Vermutlich war das zumindest
die Idee. Sebastian wies aber nach, dass die „kleine Kombination“ in Wirklichkeit
ein "grosse erreur" war: 30. … Te7+. Dieses Zwischenschach macht
nun die Idee zunichte: 31. Kd2 Sxa6, wonach Lxc6 nicht mehr funktioniert
wg. letztlich Te6. Nicht nur der Bauer war weg, die Stellung war auch plötzlich
schrottreif. Bast kam mit der Abrißbirne.
3,5 aus 4! Nach dem
unappetitlichen Auftaktremis drei Siege en suite und ein leichtes Performance-Plus.
Nicht die ganz guten Gegner bisher, aber man konnte ja immerhin um die
Preisgelder spielen, zumal die meisten der Top 10 ihre Probleme hatten
und Federn ließen.
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Das gutbürgerliche
Bürgerhaus war der Spielort
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Runden 5-6
Samstag
Sean Connery in
Sottrum
Nun würde es doch
bestimmt einen fetten Gegner geben mit 3,5 Punkten? Aber oh Wunder - 1970.
Was war das? Ein junger, aufstrebender Gegner, aber mit 18 Jahren auch
kein Wunderkind. Doch hier wehte ein Hauch von Sottrum
durch den Heidelberger Turniersaal. Mit Weiß musste jedenfalls gewonnen
werden. Sebastian bekam auch seine Vorbereitung auf das Brett, der Gegner
spielte nicht streng - und der Oldenburger griff daneben. So hatte er erstmal
zwei Minusbauern nach Damentausch ohne ausreichende Kompensation.
Der Gegner spielte
aber nicht so streng, wie wir erst dachten, und wir fanden durchaus Remismöglichkeiten
im weiteren Verlauf. Dann aber musste Sebastian eine Figur für einen
Freibauern geben und stand auf Verlust - bis sich am Ende eine ungeahnte
Möglichkeit auftat:
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Sebastian - Engemann
Schwarz am Zug
"The end came in the
endgame"
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Schwarz steht hier
auf Gewinn, der z.B. durch Ke6 zu realisieren war. Doch es folgte 46.
… Kg6? Jetzt hätte Bast das Remis erreichen können. Es folgte
auch 47. h4 Le2. Aber nun remisierte 47. g5! anstelle des gespielten
47.
Kg3? Schwarz bliebe nur … h5. Er hätte dann zwar für seinen
Randbauern den richtigen Läufer, aber sein König kommt nicht
rum. Weiß pendelt mit dem König Richtung e5 und d6. Leider verpasste
Bast diese Gelegenheit und verlor.
Sein Gegner setzte
seine Siegesserie am Nachmittag noch weiter fort und haute noch einen 2300er
um, wonach seine Turnierleistung bei über 2500 Punkten lag. Wait,
what? Also, für solche Werte wurden in der Vergangenheit schon Leute
verhaftet! Aber nein - hier ging alles mit rechten Dingen zu. Und genau
darum kann man jemanden auch nicht allein wegen einer bestimmten Performance
an den Pranger stellen. Hut ab also vor dem jungen Mann und seinem Turnier!
Bei Sebastian war natürlich
der Frust eingekehrt. Aber er riß sich am Nachmittag zusammen. Mit
Schwarz ging es gegen einen älteren 2150er, den er nach allen Regeln
der Kunst in seine Bestandteile zerlegte - bis…
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Puschendorf -
Sebastian
Schwarz am Zug
"Like a g6"
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Weiß hat soeben
die Türme verdoppelt. Aber g6 hängt nicht, nach z.B. 29. … Kf7
ist der g-Bauer tabu wegen Sf4, wonach h2 durchhängt. So oder so ist
Weiß hier geplatzt. Doch es folgte ein „epic howler of major proportions“
(ich glaube, bei Seirawan gelesen) mit 29. … g5? Unerklärlich.
Unverständlich. Schwarz behält nach dem sofort auf das Brett
gedroschenen 30. Txg5 zwar zwei Türme für die Dame, aber
in Summe landet er mit drei Bauern im Dispo. Es folgte noch ein harter
Kampf, Weiß war auch nicht allzu elegant in der Umsetzung - aber
die Null wurde eingefahren.
Ein ruiniertes Turnier!
Und zweimal brachte ausgerechnet Sebastians Lieblingszug g5 die Entscheidung
zu seinen Ungunsten. Ich scherzte noch, Sebastian habe die Doppel-Null
an dem Samstag als Reminiszenz an den am Tag zuvor verstorbenen Sean Connery
eingestreut. Der stand aber mehr auf MI6 statt auf g5. Im Dienste ihrer
(Bauern)Majorität…
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Unsere Appartementanlage
erinnerte an Bates
Motel
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Runde 7
Sonntag
Wie es laufen kann!
Nun musste natürlich
in der letzten Runde nochmal gewonnen werden. Ein junger Gegner, 2000 auf
dem Konto - aber Bast hob davon etwas ab und zeigte, was er spielen kann.
Er überließ seinem Gegenüber zwar Raum am Damenflügel,
aber es war ein Raum voller Schimmelflecken. Sein Spiel auf der anderen
Brettseite war überzeugend, und er kam schnell zu einem vollen Punkt.
Hier die zweite Partiehälfte unkommentiert.
Sebastian
- Simbikangwa
Fazit
Schade, es war ein
Turnier, wo mehr drin war. Die taktischen Fehler waren schon ziemlich kurios,
die Spielanlage aber lässt auf mehr hoffen. Hier kann man eigentlich
kaum etwas kritisieren. Vermutlich fehlte einfach an der ein oder anderen
Stelle der Fokus. Die Punkte kann man sich zurückholen. Platz 18 in
der Tabelle, der Vollständigkeit halber. Der Wonderboy aus Runde 5
belegte am Ende übrigens den zweiten Platz nach einer finalen Null
gegen IM Kopylov.
Hier noch wie immer
der Link zur offiziellen Seite: Link
frank modder, 03.11.2020
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James Bond bescherte
uns Schachklassiker wie "Gichtfinger" und "Man wiederholt nur zweimal"
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